Am Samstag ein Interview in der WAZ, am Sonntagmorgen ein Auftritt in der Talkrunde eines privaten TV-Senders. Magath mittendrin, Magath überall. Nie zuvor wurde ein Schalker Trainer während einer offensichtlichen Krise derart hofiert, selten zuvor mit soviel huldvoller Nachsichtigkeit behandelt. Man lässt Magath vom Bonus des ehemals Erfolgreichen zehren. Nur leider finden zwischen öffentlichkeitswirksamen Presseterminen immer noch gewisse Ereignisse statt, auch als Fußballspiele bekannt, die nicht von strategischen Visionen und überflüssigen Rückbetrachtungen leben.
Das erste Spiel „seiner“ Schalker hat Thorsten Lueg 1972 in der alten Glückauf-Kampfbahn verfolgen können - und dann auch noch gleich das legendäre Pokalhalbfinale gegen den 1.FC Köln. Seit dieser Zeit hat er fast sämtliche Heimspiele des S04 vor Ort miterlebt. Ein Dauerkartenplatz in der VELTINS-Arena und der Besuch möglichst vieler Auswärtspiele runden die nackten Zahlen seines heutigen Fanlebens ab. Doch seine Vita weist Unstimmigkeiten auf. Im äußersten Nordwesten Dortmunds geboren, nur wenige Kilometer Luftlinie vom Borsigplatz entfernt zur Penne gegangen, das Geld fürs Studium als Taxifahrer auf den nächtlichen Straßen der Westfalenmetropole verdient, ist die verbotene Stadt für den heute in Essen lebenden Revierbürger stets die heimatliche Scholle geblieben - aber auch der beste Grund, mit ganzem Herzen königsblau zu denken und zu träumen. Einen größeren Beweis für seine Liebe zum FC Schalke 04 kann es nicht geben!
Ich kann das ganze Geschwafel von Sachzwängen und Umbrüchen nicht mehr hören, wenigstens solange nicht, wie es vordergründig nur der Rechtfertigung hausgemachter Probleme dienen soll. Sachzwänge gehören naturgegeben zum Profisport und nicht erst seitdem Schalke eine neue Arena gebaut und sich damit verkalkuliert hat. Umbrüche sind für viele Vereine ständiges Programm, insbesondere für solche, die Jahr für Jahr ihre besten Spieler an finanzstärkere Klubs verlieren und nicht mal eben 30 Millionen Euro locker machen können, um entstandene Lücken zu schließen.
Es bleibt Magaths eigene Wahrheit, dass der FC Schalke 04 ausschließlich auf dem von ihm eingeschlagenen Weg gerettet werden kann. Denn auch andere Optionen standen durchaus zur Debatte. Oder habe ich vielleicht irgendetwas falsch verstanden, als Clemens Tönnies die CL-Einnahmen nicht samt und sonders in den Umbau der Mannschaft investieren wollte? Kaum vorstellbar, dass sich der Schalker Aufsichtsratsvorsitzende, selbst Inhaber eines Unternehmens mit jährlichem Milliardenumsatz, von einem Ex-Fußballspieler erst die Gesetzmäßigkeiten wirtschaftlicher Abläufe erklären lassen musste und anschließend zur angeblich einzig richtigen Einsicht kam.
Tönnies hat sich blenden lassen
Nein, die Sache ist so einfach wie traurig: Clemens Tönnies hat sich von der Strahlkraft Magaths blenden und mit dem Traum von Titelehren ködern lassen. Als Sahnehäubchen liefert die offizielle Sprechart obendrauf das wunderbare Märchen einer parallel verlaufenden Sanierung, und – ruckzuck – sitzen auch noch all jene erfolgshungrigen Fans brav mit im Boot, die dem Verein schlichtweg nicht nahe genug stehen, um hinter Begriffen wie „Identifikation“ und „Authentizität“ mehr als den eitlen Besitz einer Chipdauerkarte zu sehen.
So ist das eben, wenn man vor lauter neo-liberalem Gequatsche den Blick für den wesentlichen Charakter eines Fußballvereins verloren hat. Dann muss man sogar notgedrungen die vermeintliche Titelfähigkeit einer Mannschaft proklamieren, die zur Zeit schon mit den Minimalanforderungen des stinknormalen Ligaalltags restlos überfordert ist. Wo hört Lächerlichkeit eigentlich auf, und wo fängt Peinlichkeit an?
Magath steht in gewaltiger Bringschuld. Allzu lange darf er sich mit deren Erfüllung nicht mehr Zeit lassen. Aber das wird er wissen, wie er ja alles weiß – der Mann, der kein Schalkefan sein will.